Antizelikusmus
Auf ihrem Parteitag in Chemnitz hat die Linkspartei kurz vor Schluss das Antisemitismusproblem in den eigenen Reihen gelöst: Sie definieren Antisemitismus um!
Teile der Partei wollen ihrem Hass auf den jüdischen Staat freien Lauf lassen können, denn angeblich hätte man Israel nach der IHRA-Definition nicht kritisieren dürfen, ohne sich dem Antisemitismusvorwurf ausgesetzt zu sehen. Was für ein Bullshit.
Wenn du zu faul, nicht in der Lage oder unwillens bist, deine Kritik am Handeln der Regierung Netanjahu sauber zu formulieren, sondern stattdessen lieber direkt auf einen jüdischen Staat beziehst oder einfach nur gegen Israel hetzen willst, kann deine Kritik nach der IHRA-Definition antisemitisch sein. Das häufig übersehene Zauberwort hier ist kann, da steht nicht muss. Eine Definition entbindet halt nicht von Arbeit.
Antje Schrupp hat daraufhin Anfang der Woche einen lesenswerten Beitrag zur Frage geschrieben, ob Antizionismus antisemitisch ist:
Antizionismus ist nicht dasselbe ist wie Kritik an israelischer Politik. [...] Antizionismus ist Kritik daran, dass es überhaupt einen jüdischen Staat im Nahen Osten gibt.— Quelle: Internet
und
Antizionismus, der nicht antisemitisch sein will, muss zugestehen, dass Zionismus eine legitime jüdische Position ist. Auch wenn man selbst sie nicht teilt. — Quelle: Internet
Vor einiger Zeit diskutierte ich bei Kaffee und Kuchen mit einer guten Freundin zum Thema Israel/Palästina. Wir haben fundamental unterschiedlichen Ansichten, in einigen Punkten sind wir uns allerdings erschreckend einig: Das Sterben muss ein Ende haben. Es reicht. Das Wertvolle für mich war aber das, was durch das Gespräch, den Austausch entstand:
vielleicht sollten wir in diskussionen den staat israel mit seinen institutionen, die rechtsextreme regierung netanjahu und die israelische bevölkerung als drei getrennte teile betrachten. so kann und sollte ich gleichzeitig solidarisch mit dem staat und der bevölkerung sein, die die regierung zwar gewählt hat, aber die rechtsextremen regierung für ihr handeln kritisieren. dadurch kann ich gleichzeitig das existenzrecht des staates israels anerkennen — menschen haben eh eins — und die regierung für ihr handeln kritisieren. und ich kann die menschen kritisieren, die sie gewählt haben, weil sie sie gewählt haben, ohne das existenzrecht israels anzutasten. — Quelle: Internet
Das klingt so offensichtlich, aber diese Vereinfachung dient mir seitdem als hilfreiche Leitplanke. Jetzt zum unschönen Teil, denn kein Blogpost ohne Grund, ohne Aufregung:
Im Gegensatz zu mir findet Raul Zelik, u.a Autor beim „nd“, den unsäglichen Parteitagsbeschluss der Linken offenkundig ziemlich geil und einen jüdischen Staat eher ungeil. Er mischt sich in die Debatte ein und fordert, dass die Linkspartei nicht vor dem Zentralrat der Juden in Deutschland einknicken solle. Der hatte die Partei für ihr spontanes Handeln — vollkommen zurecht — kritisiert (und ebenfalls ein Ende des Krieges gefordert, aber das kann ja mal unter den Tisch fallen, falls es nicht in ein antizionistisches Narrativ passt). Zelik schreibt:
Auch wenn stimmt, dass Betroffene in der Regel am besten wissen, was Diskriminierung ist, wäre es fatal, wenn die Linke in dieser Frage einknicken würde. — Quelle: Internet
Auch wenn Betroffene in der Regel am besten wissen, was Diskriminierung ist, aber am allerbesten weiß es immer noch Raul Zelik. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis es die Zelik-Zertifizierungsstelle für geprüften Antisemitismus gibt, Hamas-Freund wie Kilani, Koçak und Co. bekämen direkt Blankoschecks. So wie sich eine IHRA-Definition missbrauchen lässt, wird auch die JDA politisch für plumpen Judenhass missbraucht.
Ich vermisse eine Linke, in der „Gegen jeden Antisemitismus“ Grundkonsens war. Jetzt ist es wohl „Gegen jeden* Antisemitismus“. Klar hingegen bleibt: Antisemitismus in den eigenen Reihen verschwindet auch dann nicht, wenn man vor ihm die Augen verschliesst.